Mai 2025
„Sexuelle Gewalt ist nichts Abstraktes, irgendwo weit weg, auf irgendeinem Campingplatz oder auf irgendwelchen Servern – sexuelle Gewalt ist ganz nah dran und kann überall passieren. Es ist Zeit, den Gedanken daran nicht mehr wegzuschieben. Und sich zu fragen: Was könnte ich tun, wenn ich damit konfrontiert bin?“ (Kerstin Claus, https://beauftragte-missbrauch.de)
Die in der Trägerschaft des Kinderschutzbundes – Kreisverband Soest e.V. – stehende Fachberatungsstelle gegen sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen arbeitet seit Jahren mit großem Engagement mit Kindern und Jugendlichen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben oder von solcher bedroht sind.
Über die vielfältigen Tätigkeitsbereiche, in denen sich die Fachberatungsstelle auch im Jahr 2024 wieder sehr erfolgreich engagiert hat, informiert der aktuelle Jahresbericht 2024.
Nach wie vor ist der Bedarf an Beratung und Unterstützung im Bereich der Arbeit gegen sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen extrem hoch. In Dunkelfeldforschungen benannte jede siebte bis achte erwachsene Person in Deutschland, in Kindheit und Jugend sexuelle Gewalt erlebt zu haben. Laut der Weltgesundheitsorganisation sind in Europa aktuell rund 18 Millionen Minderjährige von sexueller Gewalt betroffen – hiernach erleben in Deutschland rund eine Million Mädchen und Jungen sexualisierte Gewalt.
Dies spiegelt sich auch in den Beratungsanfragen an die Fachberatungsstelle wider. Im Jahr 2024 fanden insgesamt 1.519 Beratungsgespräche statt. Im Vergleich zum Jahr 2023 ist damit ein Anstieg von etwa 10 % zu verzeichnen. 82 % der Gespräche wurden mit Betroffenen und Beteiligten durchgeführt; in 662 geführten Gesprächen gab es mehr als einen Anlass von sexualisierter Gewalterfahrung. Der Anteil der mit Fachkräften aus Institutionen durchgeführten Gespräche betrug 18 %.
Der Schwerpunkt der Arbeit der Fachberatungsstelle liegt in der Beratung von Kindern und Jugendlichen jeglichen Geschlechts im Alter von bis zu 21 Jahren, die ihren Wohnsitz im Zuständigkeitsbereich der Jugendämter der Städte Soest und Warstein sowie des Kreises Soest haben, und von sexualisierter Gewalt – auch digitaler sexualisierter Gewalt – betroffen oder bedroht sind, ferner in der Arbeit mit sexuell grenzverletzenden Kindern und Jugendlichen sowie mit Eltern und anderen Bezugspersonen aus dem Umfeld dieser Kinder und Jugendlichen.
Die Zahl der sich selbst bei der Fachberatungsstelle meldenden Kinder und Jugendlichen hat im Jahr 2024 zugenommen. Dies ist sicher auch der Erfolg der intensiven Präventionsarbeit der Beratungsstelle insbesondere auch an den Schulen im Kreisgebiet Soest. „Gerade das niederschwellige Angebot, das wir an Kinder und Jugendliche richten, sehen wir als eine unserer Kernaufgaben“, so Sabine Erhard, Leiterin der Fachberatungsstelle. In 521 Fällen erfolgte die Erstanfrage durch Angehörige, 464 Erstanfragen kamen von den Jugendämtern.
Bedingt durch die personelle Ausstattung der Fachberatungsstelle, in der im Jahr 2024 zwei Sozialpädagoginnen/Sozialarbeiterinnen mit entsprechenden Zusatzqualifikationen, eine weitere sozialpädagogische Fachkraft, eine Psychologin sowie ein Psychologe als Honorarkraft tätig waren, müssen Kinder und Jugendliche – je nach Beratungsbedarf – jedoch leider mit Wartezeiten von bis zu einem halben Jahr rechnen. Die Fachberatungsstelle stellt aber trotz ihrer angespannten personellen Ausstattung sicher, dass Kinder und Jugendliche, die sich selbst bei ihr melden, in der Regel sofort ein Beratungsangebot erhalten. In einem ersten Gespräch wird zunächst der individuelle Beratungsbedarf geklärt; sofern es im Einzelfall erforderlich werden sollte, regt die Fachberatungsstelle die Einleitung der konkret erforderlichen Maßnahmen an.
Mit 60 % der Ratsuchenden konnte im Jahr 2024 innerhalb von drei Tagen, mit 29 % innerhalb von sieben Tagen, mit 8 % innerhalb von 14 Tagen und mit 2 % innerhalb eines Monats ein Termin vereinbart werden. Nur 1 % der Ratsuchenden musste mehr als einen Monat auf einen ersten Termin bei der Fachberatungsstelle warten.
Die ratsuchenden Kinder und Jugendlichen werden dem individuellen Beratungsbedarf entsprechend zeitlich unterschiedlich lang beraten. In etwa 60 % der Fälle konnte die Beratung innerhalb von drei Monaten abgeschlossen werden. Dabei war in etwa 48 % der Fälle nur ein Gespräch notwendig, allerdings waren in 19 % der Fälle mehr als 15 Gespräche erforderlich, um den Kindern und Jugendlichen die auf ihre Lebenssituation zugeschnittene individuelle Hilfe zukommen zu lassen. Dies ist der Komplexität der Anfragen geschuldet, die einer intensiveren Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen sowie den Angehörigen bedurfte. In den Gesprächen werden – neben der auch erfolgenden Definition der bestehenden Probleme – geeignete Hilfestellungen und Interventionen angeboten.
In Verdachtsfällen auf sexualisierte Gewalt an Kindern und/oder Jugendlichen und in Fällen, in denen der Verdacht besteht, dass eine solche von Kindern oder Jugendlichen ausgeht, werden Beobachtungen geklärt und weitere Informationen gesammelt.
Das Bestehen eines Verdachts oder die Aufdeckung sexualisierter Gewalt löst im Umfeld des betroffenen Kindes meist ein krisenhaftes Geschehen aus. Im Rahmen eines Clearings werden dann notwendige Handlungsstrategien erarbeitet.
Die Fachberatungsstelle bietet zudem therapeutische Maßnahmen für Kinder, Jugendliche und Eltern bzw. wichtige Bezugspersonen an. Dieses Angebot kann allerdings eine kinder- und jugendpsychiatrische Behandlung nicht ersetzen, sondern tritt gegebenenfalls ergänzend zu einer solchen hinzu. Die therapeutischen Interventionen zielen auf die Stabilisierung der Persönlichkeit der von Gewalt betroffenen Kinder und Jugendlichen und die Verarbeitung der erlebten Erfahrungen sowie bei sexuell grenzverhaltendem Verhalten auf eine Rückfallprophylaxe ab.
In 93 Beratungsfällen wurde im Jahr 2024 zudem von der Fachberatungsstelle ein Erstkontakt mit dem Jugendamt vermittelt, in 565 Gesprächen wurden weitere Jugendhilfeleistungen empfohlen.
Strafanzeigen werden von der Fachberatungsstelle nicht gestellt, sie bietet jedoch an, Kinder und Jugendliche sowie deren Bezugspersonen während eines Strafverfahrens zu unterstützen. Hierzu gehört auch die Erörterung der Frage, ob überhaupt eine Strafanzeige gestellt werden soll.
Die Zahl der in der Beratungsstelle vorgestellten Kindergartenkinder in den letzten beiden Jahren etwas zurückgegangen. „Ein möglicher Zusammenhang mit dem fortwährenden Fachkräftemangel im Elementarbereich wäre bedenklich“, so Sabine Erhard. Sie führt den Rückgang der Fallzahlen auch auf die Qualifizierung der Fachkräfte im Kita-Bereich zurück, zu der die Fachberatungsstelle mit ihren vielfältigen Schulungsveranstaltungen erheblich beigetragen hat.
Auch der Anteil der Kinder und Jugendlichen, die bei der Fachberatungsstelle aus stationären Jugendhilfeeinrichtungen vorgestellt wurden, hat sich im Jahr 2024 verringert. Demgegenüber hat sich jedoch die Zahl der in ihren Herkunftsfamilien lebenden Kinder und Jugendlichen im Beratungsjahr 2024 erhöht; er liegt aktuell bei 85 %, während er im Jahr 2023 noch bei 76 % gelegen hatte.
Dass Kinder und Jugendliche mit einer geistigen, körperlichen oder seelischen Behinderung fast dreimal häufiger sexualisierte Gewalt als junge Menschen ohne Behinderung erfahren, zeigt sich jedoch leider deutlich auch an einem Anstieg der Beratungszahlen in diesem Bereich. Neben der individuellen Beratung von Betroffenen und der Präventionsarbeit hat die Fachberatungsstelle gerade in diesem Themenkomplex neues Therapiematerial entwickelt und adaptierte vorhandene Materialien aufgearbeitet.
Im Jahr 2024 erhöhte sich zudem der Anteil der Arbeit mit Jungen und männlichen Heranwachsenden. „Dies bewerten wir sehr positiv, da gerade dieses Geschlecht im Regelfall weniger Zugang zu Beratung findet“, so Sabine Erhard.
Auch der Anstieg von digitalisierter sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche spiegelte sich im Jahr 2024 in der Arbeit der Fachberatungsstelle wider.
Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit der Fachberatungsstelle ist die Beratung von Fachpersonen und die Präventionsarbeit in den Bereichen der psychosozialen, pädagogischen und medizinischen Beratung sowie mit Polizei und Justiz.
Das für Fachkräfte aus Institutionen bereits bestehende Angebot der fachspezifischen Diagnostik im Rahmen von Gefährdungseinschätzungen und wurde im Jahr 2024 weiterentwickelt und fachlich ausdifferenziert. Die Fachberatungsstelle berät einzelfallbezogen Fachkräfte von psychosozialen und medizinischen sowie Einrichtungen der Jugendhilfe, um diese in die Lage zu versetzen, innerhalb deren Tätigkeitsbereichs mit Fällen sexualisierter Gewalt kompetent umzugehen. Im Jahr 2024 wurden in diesem Bereich 37 Präventions- und Schulungsveranstaltungen durchgeführt, die von Kindergärten, Schulen, den drei Jugendämtern, stationären Jugendhilfeeinrichtungen, Verbänden und anderen Institutionen erbeten worden waren.
Die Fachberatungsstelle kooperiert zudem mit der Polizei Soest, mit der ein Konzept für Elternabende für Kindertagesstätten und Grundschulen entwickelt wurde, sowie mit den Jugendämtern, mit dem Gesundheitsamt und der schulpsychologischen Beratungsstelle des Kreises Soest, mit Frauenhaus und Frauenberatung, dem Kreissportbund, Präventions- und Beratungsstellen der Kirchen sowie mit der Schwangeren- und Konfliktberatungsstelle des Kreises Soest. Die Polizei verweist bei in ihrem Tätigkeitsfeld auftretenden Verdachtsmomenten häufig auf die Fachberatungsstelle als kompetente Ansprechpartnerin hin.
Über weitergehende Aspekte der Arbeit der Fachberatungsstelle gegen sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen sowie die Möglichkeiten der Kontaktaufnahme informiert der Internetauftritt der Fachberatungsstelle unter www.ksb-fachberatungsstelle.de. Dort ist auch der aktuelle Jahresbericht 2024 abrufbar.